Samstag, 5. September 2015

Entkriminalisierung, Regulierung … die Debatten. Oder: Was die "Entkriminalisierung aller Aspekte" (Amnesty) bedeutet.

Fußschellen
CC BY-SA 3.0
Wikimedia Commons
Im Zusammenhang mit dem sehr umstrittenen Entschluss seitens Amnesty Internationals vom 11. August 2015, die Entkriminalisierung zahlreicher Aspekte der Prostitution zu fordern bzw. die "full decriminalization of all aspects of consensual sex work", sehen wir wieder Artikel, die das hohe Lied einer von rechtlichen Beschränkungen weitgehend befreiten „Sexarbeit“ singen und die dabei die angebliche Sicherheit und die angeblichen Chancen der Frauen, Menschen in der Prostitution ins Feld führen, eine Sicherheit, die ausgerechnet in einem Wegfall von Bestimmungen zum Thema liegen soll.

Deutschland experimentiert seit 2002 in den verschiedenen Städten mit verschiedenen Modellen der Legalisierung (Reglementierung) und völligen Entkriminalisierung des Prostitutionsgewerbes. Keiner der Ansätze hat die Situation derjenigen in der Prostitution, überwiegend Frauen, verbessert, im Gegenteil. Entstigmatisiert wurden nur Freier und Bordellbetreibende, die wirtschaftliche Situation der Frauen selbst hat sich verschlechtert und sie haben kaum Möglichkeiten, irgendwelche Rechte einzuklagen, da fast alle Praktiken innerhalb des riesigen Geschäfts Prostitution mit entkriminalisiert wurden. Dies gilt schon für Zuhälterei und betrifft z.T. sogar Menschenhandel (bei über 21-Jährigen), die beide nur noch dann als strafbar gelten, wenn "Ausbeutung" vorliegt; alles andere wurde in Zuge des Gesetzes von 2002 entkriminalisiert.




Die Sexindustrie bezeichnet die Praktiken nicht als "Zuhälterei" oder "Menschenhandel", sie spricht lieber von "certain operational aspects of the sex trade" (1) - und den begeisterten UnterstützerInnen der Industrie genügt dies offenbar. "Ausbeutung" wurde im deutschen Gesetz dann gar nicht rechtlich definiert - es liegt also an den einzelnen Gerichten, ob, wann oder wie sie vorliegt. Das Ergebnis dieser Entkriminalisierung ist, dass es ausschließlich der Frau selbst auferlegt wird, für ihr Recht zu sorgen, die Ausbeutung zu beweisen, eine Verurteilung ist ohne ihre Aussage, ihr Engagement, ihren Mut, ihre Aufzeichnungen nicht möglich, und je nach Einstellung der RichterInnen auch nicht wahrscheinlich. Oder endet mit lächerlichen Strafen. Das macht es für Frauen unmöglich oder sinnlos, sich an die Polizei zu wenden. Nicht irgendeine Kriminalisierung der TäterInnen. Die ist ja kaum noch gegeben.

Regulierung als Konsequenz (vormals: Ursache) der Entkriminalisierung


Und so wird hier seit Jahren in den verschiedenen Städten hin- und hergerudert. Nachdem die völlige oder weitgehende Entkriminalisierung, die das Feld einfach den Kräften des Marktes überlassen hat, in vielen Städten gescheitert ist und zwar in einem Ausmaß, das sich auch durch Wegsehen nicht übergehen lässt, wird also „reguliert“ – ein Ansatz, der seit über 100 Jahren fehlschlägt, und weiter von Arbeitsrechten usw. gesprochen. Gesprochen ist das operative Wort hier – aber selbst, wenn sie eingeführt und kontrolliert werden oder würden (vieles an der Debatte zeichnet sich durch Konjunktive aus): Kontrolle ist Regulierung, und das schafft immer ein Dunkelfeld derer, die sich nicht daran halten oder halten können. Es ist zynisch, andauernd von Schweden und einem Dunkelfeld zu sprechen und dabei über ganz Deutschland geflissentlich hinweg zu sehen. Von Schweden zu sprechen, und dann von schützenden „Rechten“, die in der Praxis jedoch gleichzeitig von der Sexindustrie als „Regelungen“ bezeichnet und abgelehnt werden. Diejenigen, die wegen Armut oder Krankheit jenseits dieser Vorschriften, Regeln, Empfehlungen, "Rechte" auf das Feld der Prostitution treten, ein Feld, das sie den männlichen Ansprüchen per Definitionem überlässt, landen automatisch in einem „Dunkelfeld“. Vor allem, wenn daneben und davor so bequem eine legale Fassade aufgezogen wird. Vor allem, wenn dann diejenigen, die das Feld am wenigsten bestimmen, doch Strafen und Gebühren ausgesetzt sind – vergleiche den Zugriff der Polizei auf die prostituierten (2) und nicht etwa die Freier in den Sperrbezirken fast aller Städte (außer in Hamburg). Am Rande: Da, wo diejenigen in der Prostitution tatsächlich nicht kriminalisiert sind und nicht „reguliert“ werden, gibt es keine Registrierung. Das liegt auch daran, dass nicht die prostituierten, die Frauen (oder Andere) in der Prostitution als Ursache irgendeines Problems oder eines Verbrechens gesehen werden, sondern diejenigen um sie herum, die „Freier“, die ZuhälterInnen, die übrigen Profiteure.

Die Entkriminalisierung der "Sexarbeit" - und wie bei Amnesty umschließt dieser Begriff alles, auch "Vermittlungsdienste", Bodellbetrieb etc. - hat die Betroffenen in der Prostitution de facto jeglicher rechtlicher Solidarität der Umgebung beraubt. Es ist ja rechtlich alles in Ordnung. Das ist die Realität der Prostitution in Deutschland, und sie lässt sich an unseren so sauberen Statistiken wunderbar ablesen. Zuhälterei gibt es nach diesen Statistiken so gut wie gar nicht mehr und Menschenhandel kaum. So kann ich natürlich auch mit Maffia-Strukturen umgehen - wenn ihre Kriminalisierung aufgehoben wird, dann sind sie ja nicht mehr kriminell, die Statistiken sind schön, auch wenn sich ihr Verhalten überhaupt nicht geändert hat.

Zu behaupten, diese Entkriminalisierungen würden den Frauen helfen oder ein Dunkelfeld abschaffen, ist unglaublicher Zynismus, oder bestenfalls weltfremdes Geschwurbel.

Beschränkungen und Kritik an der Sexindustrie – die eigentliche Wurzel des Übels?


In Ländern, in denen es gesetzliche Beschränkungen der Sexindustrie gibt, so heißt es, können „BordellbetreiberInnen die Arbeitsbedingungen zu ihren Gunsten stark beeinflussen – ob bei Preisgestaltung, Kleidungsvorschriften, der Art der sexuellen Dienstleistungen, Anwesenheitspflichten, und vielem mehr“ (3) - das können und tun sie vor allem in Deutschland, auch in Berlin oder Bremen, die keine Sperrbezirke haben, sie können das, weil das Gesetz es ihnen erlaubt, und weil die Frauen (trotz des ProstG, das ja versicherungspflichtige Arbeitsstellen schaffen sollte) dort offiziell ganz freiwillig und selbstständig arbeiten, und daher ja nicht das Bordell nutzen müssen, sie können ja woanders arbeiten, in Berlin oder Bremen sogar ihre Wohnung nutzen oder dazu eine mieten (<- hier jetzt den ganzen Mythos der lauschigen Sexarbeit einfügen) - warum gibt es Bordelle wie das Artemis und das King George dann in Berlin? Die Preise in Berlin sind so gefallen, dass "Edel-Escort-Services" inzwischen aufgeben. Ergebnis einer gnadenlosen und unbegrenzten Kommerzialisierung, die weitere Geschäftschancen für die riesigen Bordelle schafft. Prostitution als riesiges Geschäftsmodell und staatlich geförderte Institution beruht auf Ausbeutung, und sie sichert sich ihre ausbeuterischen Strukturen.

„Ihren Lohn einklagen“, nichts dagegen, es wird bei Veranstaltungen ja immer erzählt (seit Jahren), dass eine (!) Frau das tatsächlich auch gemacht hat, und "bald" würde das auch veröffentlicht - ein theoretisches Recht gegen handfeste Rechtlosigkeit in der Praxis, in einem Geschäft, dass auf "Geld zuerst" und in der untersten Ebene auf „Geld in bar“ beruht. Fun fact: Seit 2002 kann der Freier in Deutschland bei "Nichterfüllung" auch klagen. (3) Er kann rechtlich nichts erreichen, wenn "schlecht" erfüllt wurde - aber in vielen Bordellen kriegt er sein Geld zurück, und für die Rache hat er die Freierforen, die ohne jegliche Barrieren im Internet zugänglich sind. Die deutsche juristische Welt ist hier tätig, sie befasste sich zumindest um 2002 intensiv damit, ob es nicht sehr ungerecht ist, den Freier nicht klagen zu lassen, wenn er nicht zufrieden ist. (4)

Schweden – der größte Gegner seit dem 30-jährigen Krieg?


Besonders ärgerlich sind die immer wieder kehrenden haltlosen und diffamierenden Behauptungen zu Schweden – trotz der Behauptungen gibt es keinen Beleg für einen Anstieg an Gewalt in der Prostitution, verschiedene Themen (und Länder) werden immer wieder gemischt, und es ist davon auszugehen, dass diejenigen, die die Aussagen nicht einfach nur nachplappern, das auch wissen. Aber da ja alles im „Dunkelfeld“ liegt, kann auch alles behauptet werden – ist ja alles so dunkel, sieht man ja nichts. Es gibt Hinweise auf erhöhte Gewalt bei Menschenhandel – ein Tatbestand, von dem Doña Carmen und andere VerfechterInnen der Prostitution als riesigem und gutem Geschäftszweig behaupten, er habe mit Prostitution ohnehin nichts zu tun, falls es ihn überhaupt gebe - außer, wenn es um Schweden geht, da ist das natürlich anders. Es gibt Belege international, dass Menschenhandel seit der globalen Wirtschaftskrise in Europa insgesamt steigt und dabei brutaler wurde (5). Es ist richtig, dass es in Deutschland jenseits der Aussagen der Polizei dafür keine Beweise gibt; allerdings wurde und wird das hierzulande ja auch nie untersucht, keine Fragen, keine Antworten, keine Belege - so einfach ist das in der glücklichen Welt der befreiten Sexarbeit. Schweden kann es sich leisten, wenigstens hinzuschauen. Vergleicht man Schweden und Norwegen mit Dänemark, wo Prostitution zugelassen ist, sieht man den hohen Anstieg in Dänemark im Vergleich zu den beiden anderen. Es lohnt sich, Studien und Evaluationen zu Ende zu lesen. (6)

Die Lügen sind infam: Frauen wird keineswegs das Sorgerecht für ihre Kinder wegen Prostitution entzogen, auch das wissen die BefürworterInnen der Sexindustrie, und sie haben keinerlei Belege. Aber in einer Gesellschaft, die zunehmend in Ausbeutung und in die Ausbeutung von Frauen investiert, brauchen sie die leider nicht.

Zuhälterei und Bordellbetrieb sind verboten, was es _möglich_ macht, Wohnungen deswegen zu kündigen, was bedeutet, dass Zuhälter die in Deutschland so beliebten und so gut wie gar nicht kontrollierten Terminwohnungen nicht einrichten können. Was nicht schadet. Übrigens - Umwandlungsverbote und so? Wohnraum in Geschäftsräume umwandeln? Aber - da müssen die AnwohnerInnen, Wohnungssuchenden und die Straßen durch, durch den extremen Anstieg der Preise dann auch. Stuttgart will nicht mehr durch, und amüsiert sich seit mindestens drei Jahren damit, das explodierte Geschäft wieder einzufangen. Und auch die Entwicklungen in Berlin zeigen die Grenzen des völlig freien Ansatzes auf.

Hinter den sieben Meeren … Neuseeland!


Nachdem Deutschland inzwischen doch nicht mehr den besten Ruf genießt, was die Entkriminalisierung – mit mehr oder weniger regulierenden, legalisierenden Eingriffen – angeht, wird seit neuestem Neuseeland hier als das Paradies der freien Sexarbeit vermarktet. Die Studien sind so schön wie in Deutschland, und das mit den gleichen Methoden: In Neuseeland wird der Menschenhandel im Land selber, der vor allem indigene Frauen und Kinder – Mädchen – betrifft, ignoriert, da Neuseeland nur die Fälle zählt, die von außerhalb des Landes kommen, und wenn die betroffenen dann mit "Studentinnen-Visas" einreisen, sehen die Statistiken dort so hübsch aus wie die deutschen. Es lohnt sich, bei Studien und Evaluationen die Definitionen zu lesen. (7)

Feministische Interventionen in der Prostitutionsdebatte (8)


Was marginalisierte Frauen brauchen, und Frauen in der Prostitution, ist die Solidarität der Gesellschaft. Die ist aber nicht durch eine Normalisierung, genauer eine normalisierende Akzeptanz ihres Zustandes und ihrer Situation gegeben und auch nicht durch ein Aufhübschen des Vokabulars. Sie verlangt eine eindeutige systematische Stellungnahme, Anlaufstellen, die die Probleme überhaupt wahrnehmen und von diesem Boden aus helfen und Schulungen, Aufklärungen bei Polizei, in den medizinischen Berufen, den Ämtern. Die wiederum unabhängig vom konkreten Modell stattfinden muss und könnte, aber bei einer Normalisierung der Prostitution als „Sexarbeit“ erschwert wird. Beispiele: Hydra (Berlin) spricht lieber von „Umstieg“ als „Ausstieg“, während Kassandra (Nürnberg) kostenlose rechtliche Beratung zum Download bereitstellt, wie ZuhälterInnen und Bordellbetreibende juristische Probleme bei den unter 21-Jährigen vermeiden können. Mimikry, die Münchner Anlaufstelle für „anschaffende Frauen“, teilt „anlaufenden“ Frauen oder Transfrauen auch schon mal Flyer zur Selbstoptimierung aus (!), damit der Job wieder Spaß macht. Therapiezentren dürfen das dann aufräumen. Und 2002 veröffentlichte und verteilte Hamburg einen Flyer und eine Informationsbroschüre für „Prostituierte“ (9). Ihr ist zu entnehmen, dass Hepatitis und HIV eben „Berufskrankheiten“ sind, na dann… Ich stelle mir Solidarität anders vor als dies. Anders als etwa normalisierende Bezeichnungen für die Ergebnisse einer Situation, in der Frauen solchen Krankheiten ausgesetzt sind und als Bezeichnungen, die zusätzlich noch als Legitimationsstrategien für Krankenkassen bei horrenden Versicherungsaufschlägen wirken. Aber vielleicht sehen die LobbyistInnen der Sexindustrie das ja anders, als „normale Rechte und Pflichten“ wie bei anderen Berufen auch.

Entkriminalisierte oder auch legalisierte, geduldete oder regulierte Prostitution ist eine staatlich garantierte Infrastruktur zur Sicherung männlichen sexuellen Zugangs zu Frauen gegen eine Gebühr. Es ist wirklich nicht zu erkennen, wie das zu irgendeiner Befreiung von Frauen oder ihrer Gleichstellung beitragen soll – weder für diejenige in der Prostitution noch für irgendeine andere.

Das Thema „Sexarbeit“ auf ein paar Sprüche zu Armut und dann allein auf die Ebene der individuellen Zustimmung zu verlagern, verweigert Solidarität und verstellt gerade den Blick auf geschlechtsspezifische Marginalisation und Gewalt. Es hebelt jede Chance auf eine wirkungsmächtige feministische Analyse aus. Wie auf der juristischen Ebene durch die Gesetze in Deutschland, wird damit der einzelnen Frau alleine ihr Schutz auferlegt, wenn sie Gewalt erlebt, dann ist es lediglich individuelles „Pech“, und sie kann ja klagen – in einem Umfeld wachsweicher Gesetze und prostitutionsstützender Einstellungen, garniert mit romantisierenden Alltagsmythen zur Prostitution bzw. „Sexarbeit“. Sie kann anzeigen oder sogar klagen, so super, wie das bei Vergewaltigung auch klappt. Bei dem Thema Vergewaltigung und rape culture, bei dem Thema Gewalt in Beziehungen können diejenigen, die von sich behaupten, feministische Ansätze zu haben, umfassende Analysen vorlegen. Sie sehen den Bezug zur Gesellschaft, der Normalisierung der Gewalt. (10) Beim Thema Prostitution fliegen alle Erkenntnisse dazu aus dem Fenster. Wieso – hier geht es doch um ihre Entscheidung, in dieser Struktur zu sein. Sie will doch in der Prostitution sein. Ist ihre Entscheidung und ihr Menschenrecht! Sie hat doch mit dem Bordellbetrieb einen Vertrag ausgemacht. (Auch laut Amnesty ihr Menschenrecht, Teil ihres Berufsrechts, gehört zu den operational aspects.) Machen wir ein paar Texte zu „Umstieg“, dann verschwinden die Probleme schon. Sie ist doch zu ihm zurückgegangen! Sie kann doch gehen, wenn es ihr nicht passt! Stärken wir die Frauen, dann werden sie nicht mehr vergewaltigt, passiert offenbar nur, weil Frauen nicht „stark“ genug sind! An ihnen selber liegt’s! Dass letztere Ansätze zynisch sind und an jeder Realität vorbei gehen, ist den Frauen in anderen Zusammenhängen durchaus bewusst. Aber Vergewaltigung und Gewalt in Beziehungen kann jeder passieren. Prostitution wird in der Praxis ja doch lieber auf „andere“ Frauen ausgelagert. Für die ist das ja so eine tolle Chance. Da kann dann auch anders gesellschaftlich analysiert werden. Oder gar nicht.

Und dann diese immer wieder politisch strapazierte angebliche Alternativlosigkeit: „Bis zum Tag, wo in einer gerechten Gesellschaft Frauen wirklich gleichberechtigt sind, müssen wir Sexarbeit als Realität akzeptieren“. (11) So lange wir das tun, werden wir diese gerechte Gesellschaft nicht kriegen. Denn Prostitution beruht auf der Inegalität, der Ausbeutung, dem Sexismus und den Machtverhältnissen in einer patriarchalen Gesellschaft. Als Institution versucht sie, darin ihre Geschäftschancen zu sehen und diese Strukturen zu nutzen. Feminismus will diese Strukturen jedoch abschaffen – die Ziele beider Ansätze sind daher nicht zu vereinbaren.

Und solange wir uns nicht für eine freie Gesellschaft einsetzen und unser Engagement für Frauen in der Prostitution von diesem Boden aus gestalten, kriegen wir auch nichts hin außer ein paar Aufhübschungen und Vertuschungen durch Rhetorik. Deutschland, die Niederlande, Australien, und ja, auch Neuseeland, belegen das zur Zeit sehr eindrücklich.

(1) Formulierung in diesen beiden Artikeln in der Huffington Post, die versuchen, die Situation in Deutschland der nicht vollständigen Entkriminalisierung zuzuschreiben und gleichzeitig Amnesty vor Beschädigungen durch die Zustände hier zu schützen. Entsprechend sind die Artikel widersprüchlich, tw. auch falsch, da sich die Autorin auch auf Gerüchte verlässt. Aber die entlarvende Formulierung der Entkriminalsierung von „certain operational aspects of the sex trade“ und das Lavieren bezüglich der Folgen zeigt trotz der eindeutigen (und offen gelegten) Stellungnahme für die Sexindustrie die Probleme mit dem gesamten Ansatz auf.
http://www.huffingtonpost.com/katherine-koster/legal-in-theory-germanys-_b_8037820.html
http://www.huffingtonpost.com/katherine-koster/trafficking-and-the-state_b_8038252.html

(2) Wie in anderen Beiträgen auf diesem Blog wird der Begriff „prostituierte“ grundsätzlich klein geschrieben, da er auf eine Situation verweist und nicht auf irgendwelche Eigenschaften. In Zitaten wird er so verwendet, wie er da steht.

(3) Helga Ametsberger, österreichische Soziologin, seit einigen Jahren in Österreich stark für die Aufhebung der Beschränkungen in der Prostitution und der Sexindustrie aktiv, in einem Interview mit der Zeitschrift „Die Wienerin“ mit dem problematischen Titel: „Sexarbeit kriminalisieren – ja oder nein“. Problematisch, weil in diesem Begriff der Sexarbeit nicht klar ist, was dazu gehört, und da niemand in Europa zur Zeit irgendeine Kriminalisierung der Frauen (jungen Männern, Transfrauen) in der Prostitution fordert: http://wienerin.at/home/leben/job/4806439/Entkriminalisierung-von-Sexarbeit?seite=1

(4) Es wurde auch nicht festgelegt, wann aus einer „schlechten“ Erfüllung oder lediglich einer „Teileerfüllung“ eine praktische „Nichterfüllung“ wird, wenn ein Freier klagen sollte, dies wurde wie vieles andere „der Würdigung des Einzelfalles“ überlassen, aber man ging wohl von „Zurückhaltung“ im rechtlichen Bereich aus. Das entscheidende Stichwort ansonsten ist wohl „Vertragsgerechtigkeit“, und die Zulässigkeit von „Einseitigkeiten“ darin. Vgl. Galen, Margarete von, Rechtsfragen der Prostitution. Das ProstG und seine Auswirkungen. München 2004, S.25-33.

(5) Links zu den verschiedenen Evaluationen: http://www.government.se/content/1/c6/15/14/88/0e51eb7f.pdf
http://t.co/3iSm1665He

In Deutschland haben sich laut Zeitungsberichten, die sich mit der Rolle der „Loverboys“ befassen, die Methoden geändert: Offene Gewalt sei weniger gegeben, statt dessen Manipulationen und später subtilere Formen von Bedrohung durch Bloßstellung bei der Familie etc. Auch dies erschwert den rechtlichen Zugriff auf die nicht selbst bestimmte Vermittlung in Bordelle.

(6) https://ressourcesprostitution.wordpress.com/2015/05/18/le-long-combat-contre-lexploitation-sexuelle-perspectives-historiques-sur-le-modele-nordique/ (Ressources Prostitution / 2015/05/18)

(7) http://abolition2014.blogspot.de/2015/08/ngos-beste-pr-und-meinungsmacher-die.html Es gilt als Erfolg, dass in Neuseeland seit der Gesetzesänderung zu Prostitution kein Fall von Menschenhandel verfolgt wurde. "Verfolgt wurde". Das reicht offenbar den VerfechterInnen der umfassenden Entkriminalisierung.

(8) Der Begriff „feministisch“ ist nicht rechtsverbindlich definiert und umfasst daher so ziemlich alles, was sich irgendwie auf Interesse an Frauen und ihrer Situation beruft und eine Parteinahme zugunsten von Frauen behauptet oder vertritt. Dies hat Vorteile, hier gilt allerdings folgendes: Die Definition von „feministisch“, die hier zugrunde gelegt wird, ist eine, in der „Frau“ soziologisch als Position / Rolle in einer Gesellschaft gesehen wird, eine Positionierung, auf die sie anlässlich ihres biologischen Geschlechts gestellt wird. Eine, die Machtverteilung und Zugang zu Ressourcen geschlechtsspezifisch betrachtet und dazu systematische Ansätze verfolgt und die Verhältnisse systematischen Analysen unterzieht. Diese Definition kann sich daher die * sparen, da es hier grundsätzlich um eine zugeschriebene Positionierung von Individuen mit dem Merkmal „weiblich“ geht, eine die Betroffenen einschränkende Positionierung, die über zahlreiche Machtmechanismen und gezielte öffentliche Verhaltensweisen vor allem seitens der Männer (sowohl als Kategorie als auch als Individuen) aufrechterhalten wird. Es geht im Rahmen solcher Analysen nicht um individuelle Eigenschaften (oder gar "angeborene"), sondern um die Faktoren, die letztlich die individuellen Eigenschaften der betroffenen Individuen irrelevant machen. In diesen Analysen – früher war das mal Feminismus, heute gilt es schon als radikaler Feminismus - wird von „women as a class“ ausgegangen. Daraus folgend werden die Chancen auf die Entwicklung, das Ausleben individueller Eigenschaften und Vorlieben, auf sexuelle Selbstbestimmung in gesellschaftlichen, ökonomischen und anderen strukturellen Kontexten in deren geschlechtsspezifischen Wirkung analysiert und nicht einfach jenseits solcher Kontexte großartig postuliert um danach rein assoziativ in schlampigen und einseitigen Diskursanalysen zu punkten. Der hier vertretene Ansatz schließt die Wahrnehmung und Skandalisierung von Gewalt gegen andere Menschen – etwa junge Männer in der Prostitution und in der Porno-Industrie oder gegen Transfrauen in der Prostitution keineswegs aus.

(9) Zu den Anlaufstellen empfehlen wir deren Webseiten, zu Hamburg und der Aufklärung für die „Prostiuierten“: http://www.hamburg.de/contentblob/117010/data/flyer-prostigesetz.pdf (siehe „Berufskrankheiten (z.B. Hepatitis, HIV)“

(10) 2010 erschien eine Dissertation zu Vergewaltigungsmythenakzeptanz bei RechtsanwältInnen – es wäre interessant, dies auch einmal, und auch in den Staatsanwaltschaften, bei RichterInnen und ggf. der Polizei, für Prostitution zu untersuchen. Eine solche Untersuchung würde allerdings eine gewisse kritische Distanz zu den Mythen und das Wissen um ihre Existenz voraussetzen. Die Arbeit zu Vergewaltigung: https://www.frauen-gegen-gewalt.de/fachliteratur-280.html?file=tl_files/downloads/sonstiges/Vergewaltigungsmythenakzeptanz_Diplomarbeit_Susen_Werner.pdf

(11) Birgit Hebein, Sozialsprecherin der Wiener Grünen (als stellvertretendes Beispiel), im oben bereits genannten Interview „Die Wienerin“, http://wienerin.at/home/leben/job/4806439/Entkriminalisierung-von-Sexarbeit?seite=1

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